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Debüt-Album von Margaux GazurVerwunschen, verschwommen

Unscharfe Erinnerungen an Vietnam formen den Klang von „Blurred Memories“ – Margaux Gazurs Debüt ist voller persönlicher Spuren.

Mal sind ihre Sounds fließend, mal rhythmisch, oft schwer definierbar Foto: Alta Risoluzione

Gibt es eigentlich Erinnerungen, die nicht verschwommen sind? Bilder und Geschichten, die sich klar und deutlich ins Gedächtnis eingeschrieben haben und sich nicht jedes Mal, wenn man sie abruft, irgendwie anders zusammensetzen, abhängig jeweils auch von der Situation und von jenem madeleinehaften Etwas, das dieses Rückbesinnen ausgelöst hat?

Auch die französisch-vietnamesische, mittlerweile in Berlin lebende Komponistin, Musikerin, Produzentin und DJ Margaux Gazur scheint nur nebulöse Erinnerungen zu kennen. „Blurred Memories“ hat sie ihr Debüt-Album genannt, das kürzlich beim Label Smallville erschienen ist. In der Musik hat sich Gazur vor allem auf jene vergangenen Lebensereignisse konzentriert, die mit ihren vietnamesischen Wurzeln verbunden sind.

Die Rolle des Proust’schen muschelförmigen Feingebäcks könnten bei ihr entsprechend Bánh Cuốn übernehmen, hauchdünne, gedämpfte mit Hackfleisch und Pilzen gefüllte Reismehlpfannkuchen. Die nämlich, das erzählte Gazur kürzlich bei einem Radiointerview, seien ihr liebstes vietnamesisches Frühstück. Ab 2012 hat Gazur ein paar Jahre in Hanoi verbracht und damals solche fast täglich bei einem älteren Ehepaar gekauft.

So schwer greifbar und unscharf wie „Blurred Memories“ ist auch der Klang, den Gazur auf ihrem Album zusammengestellt hat. Hypnotisch, vor sich hin fließend, rhythmischer zwischendurch, dann wieder getragen von Field Recordings und schwer definierbaren Klängen, von Stimmen, Rauschen, zartem, metallischen Gerassel und Geschepper. Die Sounds mäandern dahin, etwas zu zurückhaltend bisweilen. Nach Vorne drängt da wenig. Es lohnt sich länger und immer wieder hineinzuhören, bis sich das Gewaber im Gehörgang weiter ausdifferenziert.

Percussions aus traditionellen Schwertern

Auch vielleicht anhand der Familiengeschichte der Musikerin, die sie im bereits erwähnten Interview skizziert: Demnach kam Gazurs vietnamesische Mutter nach dem Indochinakrieg als Bootsflüchtling nach Frankreich, wuchs auf in einem vietnamesisch geprägten Dorf, wo Gazurs Großmutter zeitlebens blieb. Ihr französischer Vater lernte indes schon als Teenager fernöstliche Kampfkunst und eröffnete später eine Martial-Arts-Schule. In eben deren Übungsräumen nahm Gazur zunächst für alle Tracks die Percussion auf, mithilfe von traditionellen Schwertern, Ketten, Trommeln und Gongs.

Sternenhimmel und Seerosen – ein besseres Setting ist kaum vorstellbar

Auf „Su Phu“ meint man das herauszuhören, den Lufthauch des Hin- und Herschwingens eines Schwerts – zumindest wenn man es weiß. „Su Phu“ steht offenbar für sư phụ, den vietnamesischen Begriff für einen Kampfkunstmeister. Anhaltspunkte zur Einordnung geben auch sonst die Titel der sieben, zwischen siebeneinhalb und über fünfzehn Minuten dauernden Tracks.

Der mittlere davon, „Madake“, der housigste von ihnen und derjenige, der am schnellsten ins Ohr geht, trägt den Namen eines Underground-Clubs in Hanoi. Es ist einer, der sich – so beschreibt es ein Reiseblogger – nicht an die Sperrstunde halte, in dem es manchmal crazy zugehe, der an anderen Abenden aber komplett leer bleibe. Ein Club, in dem unbekannte europäische DJs und Bands auftreten, wenn sie durch Südostasien touren. Neben dem Eingang gelange man an einen verwunschenen Ort, so beschreibt es Peter’s Big Adventure weiter, über eine Treppe gehe es zum Ufer eines überwucherten Sees, wo man sich auf Bänke legen und wahlweise in den Sternenhimmel oder auf riesige tropische Seerosen blicken könne.

Margaux Gazur

„Blurred Memories“ (Smallville/Word & Sound)

Ein besseres Setting für Margaux Gazurs Musik ist kaum vorstellbar. Gazur hat jenen Club einmal geleitet und dort auch Partys und Konzerte organisiert. Die Künstlerin lag also vermutlich selbst des Öfteren bei den Seerosen herum. Für alle Nichtfernreisenden wäre vielleicht der Besuch eines Tropenhauses mit „Blurred Memories“ in den Ohren eine passende Alternative.

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1 Kommentar

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  • Sehr schönes Album!